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Max Bill – das absolute Augenmass

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Erich Schmid

Zur Dramaturgie des Films


Da die Hauptfigur, Max Bill, um den es im Film geht, ein wichtiger Vertreter der Moderne war, ist es naheliegend, dass ich mich bei der Darstellung seiner Biographie an den dramaturgischen Grundsätzen orientierte, die zeitgleich mit seinem Schaffen Epoche machten: Die Rede ist von Bertolt Brechts zeitlosen und klassischen Abhandlungen zur Theorie der Dramaturgie, bei deren Erwähnung man heute manchmal den Eindruck bekommt, sie seien entweder völlig in Vergessenheit geraten, seien nie gelesen worden oder hätten keine Konsequenzen gehabt, oder sie seien einfach nicht mehr gefragt.

Aristotelisch oder episch?

Ich finde sie immer noch einleuchtend, vor allem die Gegenüberstellung der sogenannten aristotelischen und der epischen Dramaturgie.

Faksimile Heft BrechtDie von Brecht postulierte epische Dramaturgie fürs Theater und den Film kommt dem Schaffen von Max Bill sehr nahe, weil sie auf jeden Überfluss, jedes Zuschütten, jede Üppigkeit verzichtet und die Spannung in der Reduktion sucht.

Nota bene: Es war ein schöner Zufall, dass wir in der Bibliothek von Max Bill ein Büchlein mit Liedern und Texten von Brecht, aus den 40er Jahren entdeckten, das der bekannte Architekt Felix Schwarz in einer Auflage von 200 Exemplaren herausgegeben hatte. Es ist mit ganz einfachen Mitteln gestaltet und gebunden. Auf dem Kartonumschlag finden sich auf der ganzen Länge und Breite zwei Linien, die aus kleinen, aneinander gereihten (Schreibmaschinen-)"b" bestehen und sich horizontal und vertikal einmal in einer Art goldenem Schnitt im Querformat kreuzen. Max Bill hatte in seiner Jugend zur Laute, und manchmal auch noch im Alter ohne Begleitinstrument, selber Brecht-Lieder gesungen.

Kurz gesagt, verfolgen beide von Brecht einander gegenübergestellten Dramaturgien, die aristotelische wie die epische, mit ganz verschiedenen Mitteln und ganz verschiedenen Auswirkungen dasselbe Ziel: das Publikum in Bann zu ziehen.

Die aristotelische Dramaturgie tut dies mit einer spektakulären, aktionsreichen und schauspielerisch brillanten Handlung, mit hochprofessionellem Personal, das mit seinem Können das Publikum zu verzaubern vermag, sodass es im Theater oder im Film wie in einem Rauschzustand dem Geschehen folgt.

(Heute folgen diesem Prinzip vor allem die Actionfilme und das Aktionstheater mit vielen zusätzlichen audiovisuellen Mitteln, die die Spannung des Geschehens und seinen Sog auf das Publikum von aussen unterstützen. - Davon hebt sich als episches Gegenstück im deutschsprachigen Raum etwa das Theater von Christoph Marthaler ab, das mit kargen Mitteln die innere Spannung sucht.)

Brecht klagte die aristotelische Methode (u. a. aus politischen Gründen) an, weil sie verkläre, statt aufkläre; am Schluss eines Stücks bleibe dem Publikum nichts, ausser dass es eine spannende Vorstellung erlebt hat, die es bloss paralysiere und von den wirklichen Problemen, welchen den Menschen beschäftigen, ablenke. Man überschütte das Publikum derart mit Effekten, dass es gar keine Zeit, keinen Raum und keinen Atem mehr bekomme, um selber etwas dazu zu denken. Brecht-HeftDies sei Berauschung, Mystifizierung und Verklärung. Brecht hatte in diesem Zusammenhang sogar den Vergleich mit dem Nationalsozialismus herangezogen und moniert, dass dieser mit seinen dramaturgisch gekonnt inszenierten Gewalts-Aufmärschen im Stechschritt (die Leni Riefenstahl dann auch noch filmisch ebenso gekonnt ins Szene gesetzt hatte) ähnliche Ziele der Verklärung der realen Verhältnisse verfolgte und ebenfalls von den Problemen der Zeit ablenkte. Dieser Vergleich hat natürlich nur in einem rein dramaturgischen Sinne stattgefunden und hatte nichts zu tun mit den aus der Verklärung heraus weitergehenden Fokussierungen neuer Feindbilder (Antisemitismus, Anti-Bolschewismus etc.).

Auf der anderen Seite "erfand" Brecht Ende der 20er Jahre eine eigene Dramaturgie, die er der damals praktizierten aristotelischen entgegensetzte: Er nannte sie die epische Dramaturgie. Diese epische Dramaturgie sollte das Publikum nicht mit einer äusseren spannenden Handlung überschütten, sondern es vielmehr durch Reduktion in die inneren Verhältnisse der Handlung einbeziehen. Die epische Erzählweise sollte das Publikum nicht paralysieren, sondern es mit dem Stück in die Lage versetzen, geistig selber in die Handlung einzugreifen. Das Publikum sollte soviel Raum und Zeit haben, dass es tendenziell das Geschehen im Film oder auf der Bühne ständig korrigieren wolle, wenn es beispielsweise mit der Handlung nicht einverstanden sei. Es sollte also durch das Dargebotene nicht in eine lähmende Haltung des passiven Konsumierens gebracht werden, wie es bei der aristotelischen Dramaturgie geschieht, sondern in einen Zustand, der ihm das Gefühl gibt, etwas verändern zu wollen. Dies bedeutet, dass man die Handlung so aufbaut, dass den Rezipierenden genug Zeit und Raum bleibt, um selber aktiv etwas zur Handlung beizusteuern, etwas dazu zu denken. Und der Zustand dieses Selber-dazu-Denkens, so Brecht, könne eine ebenso grosse Spannung erzeugen wie die aristotelische rauschhafte Überschüttung. Für Brecht waren seine Betrachtungen in der Zeit des aufkommenden Faschismus nicht nur eine aufs Theater und den Film bezogene Frage, sondern eine entscheidende politische Frage, für die er in der Weimarer Republik nicht den Zuspruch fand, den es gebraucht hätte, um das Blatt vielleicht noch zu wenden. Der Erfolg, den die aristotelische Dramaturgie einfuhr, war für viele noch viel zu verlockend. Andere verstanden nicht oder wollen nicht verstehen, was Brecht im Grund meinte und wollte.

In diesem Sinne sind die von Brecht sehr eindrücklich beschriebenen Gegensätze der beiden von ihm so bezeichneten Arten von Dramaturgie heute noch aktuell. Es sind grundsätzlich modellhafte und bleibende Gegensätze.

Ich habe mich zur Darstellung von Max Bills Biographie aus eingangs erwähnten Gründen für eine epische Dramaturgie entschieden, weil sie dem Leben und Werk des im Brechtschen Sinne eminent politischen Künstlers Max Bill ("Ich habe immer politisch gedacht") sehr viel mehr gerecht wird als eine allfällige mit Effekten und verklärender Musik beladene Darstellungsweise. (Daraus erklärt sich etwa, dass ich für den Film nüchterne Cool-Jazz-Musik komponieren liess).

Die Grundvoraussetzung für den Einbezug des Publikums in die Handlung des Films war zuerst einmal, dass man das komplizierte und lange Leben von Max Bill in seinen inneren und äusseren Zusammenhängen versteht. Kompliziert war die Ausgangslage, weil es Widersprüche gab und viele zeitliche, geografische und thematische Elemente, welche das vielseitige Leben und Schaffen der Figur ausmachten - und die es unter einen Hut zu bringen galt, damit man die inneren Zusammenhänge derselben erkennen kann und nicht eine spannend montierte anekdotische Aneinanderreihung von Episoden konsumieren muss, bei der zum Schluss nicht viel mehr bleibt, ausser Staunen. Damit dies nicht passiert, musste ich dem Grundsatz folgen, dass man die Dinge umso einfacher darstellen muss, je komplizierter sie sind.

Ich musste die Lösung meinerseits in jenem Gestaltungsprinzip finden, das auch das Werk des porträtierten Max Bill auszeichnet: in der Schönheit der Reduktion und darüber hinaus in einem Rhythmus, der das Eingreifen des Publikums ermöglicht. Daraus ergibt sich von selbst ein epischer Film. Man hätte sich allenfalls auch etwas anderes vorstellen können, rasche Schnitte und atemberaubende Einstellungen, um das künstlerische Œuvre von Max Bill biografisch Revue passieren zu lassen in einer Orgie von skulpturalem Licht und Schatten und den knalligen Grundfarben der konkreten Bilder. Das Ganze hätte man effektvoll, wo nötig, mit einem gesprochenen Text und eindringlicher Musik untermalen können. Aber daraus wäre Max Bill nur noch unbegreiflicher geworden, als er es ohnehin schon war (und als es im Grunde jeder Mensch ist). Es galt eben auch in der Darstellungsweise eine gesellschaftliche Verantwortung wahrzunehmen, wie Bill sie auch immer der Kunst abverlangt hatte: wenigstens dort die Zusammenhänge begreiflich zu machen, wo dies möglich ist.

Die Werke, sagte ich mir, sollte man eigentlich besser im Original anschauen, weil jede Abbildung sofort einen illustrativen Charakter bekommt und den "subversiven Glanz" verliert, der nur dem Original innewohnt. Dennoch zeigte ich sie immer wieder, aber mit Zurückhaltung und nur soweit ich sie brauchte, um die inneren Zusammenhänge zwischen Werk und Biografie aufzuzeigen. In dieser Hinsicht ergab sich mit der Zeit ein immer engmaschigeres Referenzsystem.

So ist es kein Zufall, dass ich die Bilder von Max Bill und seinem Umfeld einmal in einer aktiven Situation zeige, in der die (Allianz-)Künstler der konservativen nationalistischen Kunstauffassung der 30er und 40er Jahre ein eigenständiges kompromissloses und provokatives Schaffen gegenüberstellen. Sie entsprachen nicht den bildungsbürgerlichen Vorstellungen, aber auch nicht denjenigen der einfachen Bevölkerung "in der Schweiz wie ausserhalb auch", sagte Stanislaus von Moos in einem von uns gefilmten Radiointerview. Es ist die feine Art dieser Ausdrucksweise von "ausserhalb auch", die impliziert, dass die damalige Kunstauffassung in der Schweiz sich kaum unterschied von derjenigen in Nazideutschland. Wenn ich ausgerechnet diese kurze Passage aus einem langen Interview ausgewählt habe, dann ist dies Bestandteil der epischen Dramaturgie, indem das vornehme "ausserhalb auch" einen eigenen Denkvorgang des Publikums erfordert, weil mit ausserhalb nur die faschistischen Länder gemeint sein konnten.

Auf der anderen Seite wollte ich auch den äusseren Einfluss auf Bills Bilder nicht nur in einer "Tätersituation" (gegen den Faschismus) zeigen, sondern auch in seiner Opfersituation nach dem Unfalltod von Sophie Taeuber Arp, der in Bills Werk jener Zeit insofern Spuren hinterlassen hat, als sich der Anteil an schwarzer Farbe merklich erhöhte.

Natürlich spielt die Dramaturgie im Prolog, der natürlich nicht rein episch aufgebaut sein kann, die Explosion im Steinbruch, Erotik und die Liebe eine zusammenhängende Rolle, die einen Subtext hat, der sich dann im Laufe des Films immer mehr einlöst. Die Erotik als treibende Kraft, und das Gegenteil einer Liebe, die zur Zerstörung führt, impliziert das individuelle sich immer wieder Aufrichten nach Schicksalsschlägen und die gesellschaftliche Verantwortung, die Bill postulierte. Das streng geregelte Zuhause und als Reaktion darauf das Klauen am Kiosk, dann das Besserungsheim, und wie dort in der Gruppe ein Selbstbewusstsein entsteht - dies lassen ganz wenige Bilder erkennen. Der Rauswurf aus der Kunstgewerbeschule als Lieblosigkeit aus geringem Anlass, die treibende Kraft in der Gestaltung, die einen Preis zur Folge hat und die Möglichkeit ans Bauhaus zu gehen. Wie sich dann die Geschichte wiederholt, als Bill an der gleichen Schule Lehrer wird, und es wieder Schwierigkeiten gibt, nachdem der neue Direktor sich hinreissen liess, mit den Zerstörungsgesellen einen Pakt zu schliessen und - nach Stalingrad, als man wusste, wer den Krieg verliert - noch immer "deutsche Wertarbeit" unter dem Banner des Hakenkreuzes auszustellen. Auch nachher wieder, als sich die deutsche Kulturzerstörung auf der Arboretum-Wiese nach dem Krieg noch einmal meldet und vierzig Jahre danach von der deutschen Bank in Frankfurt "wiedergutgemacht" wird.

Auch hier spielt immer wieder der epische Ansatz hinein. Ein Zuschauer reklamiert noch während der Szene spontan: schade, dass die zerstörte Skulptur nie wiederhergestellt wurde. Nur wenige Sekunden darauf wird dies eingelöst. Aber die Tatsache, dass der Zuschauer das Geschehen während des Films korrigieren wollte, gab mir die Zuversicht, dass meine Darstellungsweise auch ohne äusserliche Hilfsmittel der Üppigkeit und schnellen Schnitte spannend sein kann, vielleicht in sich selbst noch spannender als alles Aufgesetzte.

Es ist immer noch von der Prämisse des Prologs die Rede, wenn Bill aus Liebe zum Menschen Flüchtlinge versteckt und dafür gebüsst, polizeilich beobachtet und fichiert wird sowie im Ernstfall sogar inhaftiert worden wäre. Er wird auch dann noch behelligt, nachdem ihm die Geschichte längst recht gegeben hatte.

Auch hier lassen sich ungeheuerliche Aussagen ablesen, die Eigenleistung des Publikums vorausgesetzt: über den Umgang mit hochrangigen Kulturschaffenden und den Stellenwert der Kultur im Land überhaupt. Aber "ausserhalb auch", wo die Fortsetzung des von den Nazis geschlossenen Dessauer Bauhauses in Ulm 1968 (sic!) von einem ehemaligen Nazirichter ebenfalls geschlossen wird.

Dann der dramaturgische Entscheid, sich in den internen Ulmer Hochschulkonflikten nicht zu verlieren, deren Darstellung schon ganze Bücher füllten, sondern sich auf die grossen gesellschaftlichen Widersprüche zu konzentrieren: des deutschen Wirtschaftswunders nach dem Krieg, das andere Produktionsbedingungen (mehr Verpackung, weniger Inhalt) und grössere relevantere Konflikte schuf, die aber nicht ausgetragen wurden, sondern in unergiebige individuelle Machtkämpfe und Intrigen mündeten.

Dann haben sich wunderbare dramaturgische Klammern ergeben mit Bills Engagement als Antifaschist, der "eigentlich nie darüber geredet, aber mir manchmal etwas erzählt hat" (A. T.). Wie dann Bill, wie zur Bestätigung im TV-Interview sagt: "Ich habe sehr viele Leute getroffen. Ich habe sehr viele Reisen gemacht. Ich habe Dinge gemacht zu Zeiten…", ohne konkret zu werden, ausser mit der Triennale di Milano 1936, wo er mit dem Silone-Buch den Antifaschismus in den Faschismus eingeschmuggelt hatte, wie er auch Buchumschläge typographisch tarnte, um sie nach Nazideutschland einzuschmuggeln. Und nicht einmal dies fand sich in den Fichen, die eine Niedertracht gegenüber humanitärem Handeln und unseriös und fehlerhaft waren. Das kennt man, und die Wut und Trauer darüber ist eigentlich geleistet, aber wenn Bill treu seiner charakterlichen Haltung sich auch hier niemals als Opfer definiert, sondern sich darüber lustig macht ("Als ich die Fichen bekam, hoffte ich auf eine Basis für meine Biographie"), was sie dann lausigerweise nicht hergaben -, dann ergibt sich auch hier eine Fortsetzung der dramaturgischen (Charakter-)Linie des Nicht-aufgebens und Vorwärts-schauens (statt Lamentierens) vom Erziehungsheim, Schul-Rauswurf, Verlust der Zähne, Zerstörung der "kontinuität" (wozu er sich nur dahingehend äusserte, dass sie vierzig Jahre lang "als Phantom existierte"), bis zu Ulm, wo er seinen Abgang erklärend und nicht leidend schildert, und zum Schluss mit seiner Entscheidung, knapper ginge es nicht, kommentiert: "Dann raus!" - Es ist schade, dass ich Gottfried Honeggers Äusserung zur Pavillon-Skulptur nicht mehr verwenden konnte, weil es, wie so vieles, nicht mehr in die Montage passte, als er sagte, Bill habe trotz Protesten einfach weitergemacht, er, Honegger, hätte sich in einer solchen Situation längst in eine Ecke verzogen und geweint… - Aber es ging hier ja nicht um Honegger, sondern um Bill und seine Haltung als Macher und Täter (beim Verstecken von Flüchtlingen: sogar Straftäter), die evident wird, bis hin zum Verlust seines Auges (ein Auge mit dem "Augenmass"), das er mit den "seven twins" kompensiert; doch dies wird nur dann sichtbar, wenn das Publikum genügend Raum und Zeit bekommt, um dies alles auch wahrzunehmen und sich etwas dazu zu denken. Vielleicht müsste man diesen Film zweimal oder mehrmals sehen, bis man alles sieht…

Ein weiteres, fast philosophisches Phänomen: die Beziehung in Bills Leben und Werk zwischen Aussen und Innen, dem Objektivierungsversuch in der Kunst, der Konzentration auf die äussere Gestaltung, damit es dem Menschen innen besser geht, nicht als allein selig machender Anspruch (Bill hatte sich selbst auch immer mit anderen, ganz anders gelagerten Künstlern auseinandergesetzt und deren Werke bei sich aufgehängt und sie in Museen ausgestellt), sondern als Vorwärtsgehen in jene Richtung, von der er etwas verstand, nämlich vom Gestalten mit seinem "absoluten Augenmass".

Ich glaube, dass Bill eben dort ansetzte, wo er selber seine Fähigkeiten richtig erkannte, und nicht dort, wo es der Zeitgeist (von heute) gerade will: also nicht in der Psychoanalyse und Seelsorge, sondern im (auch politischen) Sehen und im künstlerischen Umsetzen des Gesehenen. Auch dies knüpft bei seiner ganzen Biographie an und zieht sich wie der berühmte (Ariadne-)Faden durchs Labyrinth, dem er - by the way - bei der Zürcher Pavillon-Skulptur mit den 18 Toren etwas Strukturiertes, Gestaltetes entgegensetzte, das ein Verbindungsstück wurde zwischen der über Jahrhunderte gewachsenen Altstadt und dem neueren Quartier davor, ein eigenständiges Werk, das zeitlos standhält ("verhebt", wie man in Schweizerdeutsch sagt) und das gleichzeitig in einem durchaus subversiven (politischen) Sinne eine konsumfreie Insel schafft inmitten der rein konsumorientierten Bahnhofstrasse (in der es auf einer Strecke von über einem Kilometer mitten in der Stadt nurmehr vierzig Haushalte gibt). Es war etwas "gegen den überbordenden Individualismus", wie Bill sagt; wie auch das Vergolden der Expo-Skulpturen, was ihm damals Ärger eingebracht hatte, die aber in Anbetracht der äusseren Gestaltung der ganzen Umgebung einfach besser aussahen, wie der Expo-Chefarchitekt sich erinnert.

Ich versuchte dies alles gewissermassen mit dem Bild von Bills kargem Schlafzimmer zu erklären, seiner Privatsphäre.

Das Ende dann, der lange Abschied, weil es auch um ein langes Leben handelte, wie auch ein Abschiednehmen von einer Geschichte und vom Film darüber, ein bisschen Trauer dabei, warum nicht, wir sind alle nicht Bill, der einen Leben lang vorwärts stürmte und auf einem Flughafen mitten in der Arbeit dem Leben entrissen wird, das Nicht-mehr-aufstehen-können, nachdem ihn die Weltgeschichte, die Wiedervereinigung Deutschlands in einem Architekturvorhaben jäh zurückgestuft hatte, und schliesslich die subversive Wiederinbesitznahme der Pavillon-Skulptur durch den toten Max Bill.

Das ist meine Dramaturgie. Wer sie erkennen kann, hat mehr vom Film.

Erich Schmid


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